Zur Modellbildung in der Gedächtnisforschung:Kapitel I: Unterschied zwischen den Versionen

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==Definitorische Festlegungen==
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===Wozu ?===
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Dieser Zustand macht sich in außerordentlich störender Weise bemerkbar wenn man den Versuch wagt, einen wenigstens partiell innovativen Ansatz in Worte zu fassen. Vertritt man die These, daß unscharfe Begriffe eine komplizierte Terminologie zur Folge haben, ergibt sich im weiteren das Problem, dem sich der Begründer der Gestalt-Therapie Fritz PERLS gegenüber sah.
Dieser Zustand macht sich in außerordentlich störender Weise bemerkbar wenn man den Versuch wagt, einen wenigstens partiell innovativen Ansatz in Worte zu fassen. Vertritt man die These, daß unscharfe Begriffe eine komplizierte Terminologie zur Folge haben, ergibt sich im weiteren das Problem, dem sich der Begründer der Gestalt-Therapie Fritz PERLS gegenüber sah.
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|"The Approach here presented rests on a set of premises that are neither abstruse nor unreasonable. On the contrary, they are, by and large, common sense assumptions which experience can easily verify. As a matter of fact, although they are frequently expressed in complicated terminology which serves the triple function of confusing the reader, inflating the self-importance of the writer and obscuring the issues they are meant to enlighten, these assumptions underlie a large part of contemporary psychology."
''"The Approach here presented rests on a set of premises that are neither abstruse nor unreasonable. On the contrary, they are, by and large, common sense assumptions which experience can easily verify. As a matter of fact, although they are frequently expressed in complicated terminology which serves the triple function of confusing the reader, inflating the self-importance of the writer and obscuring the issues they are meant to enlighten, these assumptions underlie a large part of contemporary psychology."''<ref>Perls, F.: The Gestalt Approach & Eye Witness to Therapy. (1973)</ref>
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|Perls, F. (1973): The Gestalt Approach & Eye Witness to Therapy.
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Diese Feststellung mag banal klingen, bringt sie doch nur zum Ausdruck, was kein Kenner oder Betreiber psychologischer Erkenntnistätigkeit ernsthaft zurückweisen würde; ein 'offenes Geheimnis' sozusagen. Seltsamerweise scheint dieser Umstand, der mir als ein schweres Handicap jedweder wissenschaftlichen Arbeit erscheint, niemanden so richtig zu stören. "Erlaubt ist was gefällt" scheint das Motto dessen zu sein, was gemeinhin als 'Operationale Definition' verkauft wird. Der Intelligenz-Begriff ist wohl das populärste Produkt einer Praxis, bei der die inhaltliche Fassung einer Größe i.d.R. den Meßmethoden nachgeordnet ist.
Diese Feststellung mag banal klingen, bringt sie doch nur zum Ausdruck, was kein Kenner oder Betreiber psychologischer Erkenntnistätigkeit ernsthaft zurückweisen würde; ein 'offenes Geheimnis' sozusagen. Seltsamerweise scheint dieser Umstand, der mir als ein schweres Handicap jedweder wissenschaftlichen Arbeit erscheint, niemanden so richtig zu stören. "Erlaubt ist was gefällt" scheint das Motto dessen zu sein, was gemeinhin als 'Operationale Definition' verkauft wird. Der Intelligenz-Begriff ist wohl das populärste Produkt einer Praxis, bei der die inhaltliche Fassung einer Größe i.d.R. den Meßmethoden nachgeordnet ist.


Verschiedene Autoren haben diesen Zustand beschrieben, wobei die Einschätzungen von "methodischen Unzulänglichkeiten" bis zu "Orientierungslosigkeit" gehen. So stört sich bspw. E. TULVING, auf den die Unterscheidung von 'semantischem' und 'episodischem' Gedächtnis zurückgeht, besonders am oft esoterischen Charakter psychologischer Konzepte.
Verschiedene Autoren haben diesen Zustand beschrieben, wobei die Einschätzungen von "methodischen Unzulänglichkeiten" bis zu "Orientierungslosigkeit" gehen. So stört sich bspw. E. TULVING, auf den die Unterscheidung von 'semantischem' und 'episodischem' Gedächtnis zurückgeht, besonders am oft esoterischen Charakter psychologischer Konzepte.
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|"They are used by small groups of people and either ignored or found confusing by others. There is also a good deal of terminological confusion. One and the same term may be used in rather different senses by different investigators."
''"They are used by small groups of people and either ignored or found confusing by others. There is also a good deal of terminological confusion. One and the same term may be used in rather different senses by different investigators."''<ref>Tulving, E.: Memory Research: What Kind of Progress? in: NILSSON, I. (1979) S.26 ff</ref>
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|Tulving, E.: Memory Research: What Kind of Progress? in: NILSSON, I. (1979) S.26 ff
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Andere, wie WETHERICK & DAVIES sehen die Ursache der Misere gar in einer Identitätskrise der Psychologie, in der diese sich seit ihren Anfängen befände.
Andere, wie WETHERICK & DAVIES sehen die Ursache der Misere gar in einer Identitätskrise der Psychologie, in der diese sich seit ihren Anfängen befände.
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|"From the beginning, Psychology has suffered a crisis of identity. At no time has it been clear, even to its practitioners, what constituted the boundaries of the discipline."
''"From the beginning, Psychology has suffered a crisis of identity. At no time has it been clear, even to its practitioners, what constituted the boundaries of the discipline."''<ref>Wetherick, N. & Davies, P.: Whither Psychology? in: TINS Januar 1980, S.1 ff</ref>
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|Wetherick, N. & Davies, P.: Whither Psychology? in: TINS Januar 1980, S.1 ff
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Offensichtliche Schwierigkeiten, analytische Kategorien zu etablieren und brauchbare stabile Definitionen zu formulieren, können demnach eng mit dem Fehlen einer solchen Definition für die Psychologie selbst zusammenhängen. Die gängige Selbstdarstellung als 'Wissenschaft vom Erleben und Verhalten' erweist sich als Un-Sinn, weil die Bedeutung eben dieser beiden Termini erst geklärt werden müßte; eine Definition der Psychologie auf solcher Grundlage hat keine wirkliche Perspektive.
Offensichtliche Schwierigkeiten, analytische Kategorien zu etablieren und brauchbare stabile Definitionen zu formulieren, können demnach eng mit dem Fehlen einer solchen Definition für die Psychologie selbst zusammenhängen. Die gängige Selbstdarstellung als 'Wissenschaft vom Erleben und Verhalten' erweist sich als Un-Sinn, weil die Bedeutung eben dieser beiden Termini erst geklärt werden müßte; eine Definition der Psychologie auf solcher Grundlage hat keine wirkliche Perspektive.


Mit der Physik als oft strapaziertem Vorbild der psychologischen Forschungsmethodik wird die Absurdität dieser Situation vollends augenfällig: Eine Physik, die semantisch eng beieinanderliegende Begriffe wie Kraft, Energie und Leistung nicht auseinanderzuhalten bemüht ist, sondern sie über momentan opportun erscheinende Methoden 'operationalisiert', käme niemals zu einem System wechselseitig konsistenter Aussagen, es sei denn per Zufall.
Mit der Physik als oft strapaziertem Vorbild der psychologischen Forschungsmethodik wird die Absurdität dieser Situation vollends augenfällig: Eine Physik, die semantisch eng beieinanderliegende Begriffe wie Kraft, Energie und Leistung nicht auseinanderzuhalten bemüht ist, sondern sie über momentan opportun erscheinende Methoden 'operationalisiert', käme niemals zu einem System wechselseitig konsistenter Aussagen, es sei denn per Zufall.


Stellt man sich weiter einen Forscher vor, der sich mit Prozessen auf atomarem oder subatomarem Niveau befaßt, die sich bekanntermaßen oft nur über einige Mikrosekunden erstrecken, wird plausibel, daß sich ohne genaue Definition dessen, was beobachtet werden soll, gar nichts beobachtet werden kann! - Es bedarf deshalb einer Form von Hypothesen, die Ausdruck einer Erwartungshaltung als Produkt vorangegangener theoretischer Arbeit sind.
Stellt man sich weiter einen Forscher vor, der sich mit Prozessen auf atomarem oder subatomarem Niveau befaßt, die sich bekanntermaßen oft nur über einige Mikrosekunden erstrecken, wird plausibel, daß sich ohne genaue Definition dessen, was beobachtet werden soll, gar nichts beobachtet werden kann! - Es bedarf deshalb einer Form von Hypothesen, die Ausdruck einer Erwartungshaltung als Produkt vorangegangener theoretischer Arbeit sind.<ref>vgl. 'Modell & Theorie' in diesem Kapitel</ref>
 
Vor diesem Hintergrund erheben sich zwei Minimalforderungen an wissenschaftliches Vorgehen:
 
#Um das Auftreten bestimmter Prozesse festhalten zu können, bedarf es exakter Definitionen derselben. Zu einer solchen Definition bedarf es geeigneter Meßvorschriften. Das sind 'modale' oder 'kausale Transformationen'# die das unmittelbar (über die Sinnesorgane des Forschers) beobachtbare Phänomen mit den als intern ablaufend gedachten Prozessen verknüpfen.<ref>vgl. 'Modell & Theorie' in diesem Kapitel</ref>
#Es ist notwendig, Begriffe, die alltagssprachlich als Synonyme verwendet werden, als disjunkte Konzepte zu definieren (Bsp.: Angst vs. Furcht). Dadurch wird der Informationsgehalt der einzelnen Begriffe umso stärker zunehmen, als deren Bedeutungen sich zuvor überlappt hatten.
#Das folgt aus der Definition von Redundanz als der 'Menge an Information, die zwei Zeichen gemeinsam ist'. Bei vollständiger Redundanz ist daher der zweite Begriff (das 'Synonym') überflüssig; liegt dagegen keine Redundanz vor, sind sie also disjunkt, so wird die mittels zweier Zeichen darstellbare Informationsmenge maximiert.<ref>vgl. MITTENECKER: Informationstheorie für Psychologen. (1976)</ref>
 
Die Forderung (i) richtet sich an wissenschaftliches Vorgehen allgemein, während Forderung (ii) das Zentrum der folgenden Ausführungen darstellt. Das Ziel dabei ist, meine einfachen Prämissen und Folgerungen der Hoffnung F. PERLS entsprechend in einer ebenso einfachen und klaren Sprache zu verfassen:
 
''"...if we bring these premises, simply expressed, out into the open, we will be able to use them continually as a yardstick against which to measure the reliability and the utility of our concepts, and we will be able to undertake our exploration with both pleasure and profit."''<ref>Perls, F.: The Gestalt Approach & Eye Witness to Therapy. (1973)</ref>

Version vom 5. September 2025, 16:21 Uhr

Definitorische Festlegungen

Wozu ?

Vorausgesetzt, daß ein wissenschaftlich zu nennendes Denkgebäude aus einem System von Sätzen besteht, welche gewissen Forderungen einer Aussagen-, Klassen-, oder Prädikatenlogik genügen, so ist ein Vokabular, dessen Elemente geeignet sind, empirische Befunde und theoretische Herleitungen prägnant und eindeutig zu dokumentieren, von unbestreitbarem Vorteil.

Die wissenschaftliche Psychologie, wie auch die psychologische Gedächtnisforschung als deren Teilgebiet, verfügt bislang nicht über einen solchen Vorrat an Fach-Termini: Es gibt schlicht keine verbindliche Psychologische Fachsprache.

Dieser Zustand macht sich in außerordentlich störender Weise bemerkbar wenn man den Versuch wagt, einen wenigstens partiell innovativen Ansatz in Worte zu fassen. Vertritt man die These, daß unscharfe Begriffe eine komplizierte Terminologie zur Folge haben, ergibt sich im weiteren das Problem, dem sich der Begründer der Gestalt-Therapie Fritz PERLS gegenüber sah.

"The Approach here presented rests on a set of premises that are neither abstruse nor unreasonable. On the contrary, they are, by and large, common sense assumptions which experience can easily verify. As a matter of fact, although they are frequently expressed in complicated terminology which serves the triple function of confusing the reader, inflating the self-importance of the writer and obscuring the issues they are meant to enlighten, these assumptions underlie a large part of contemporary psychology."[1]

Diese Feststellung mag banal klingen, bringt sie doch nur zum Ausdruck, was kein Kenner oder Betreiber psychologischer Erkenntnistätigkeit ernsthaft zurückweisen würde; ein 'offenes Geheimnis' sozusagen. Seltsamerweise scheint dieser Umstand, der mir als ein schweres Handicap jedweder wissenschaftlichen Arbeit erscheint, niemanden so richtig zu stören. "Erlaubt ist was gefällt" scheint das Motto dessen zu sein, was gemeinhin als 'Operationale Definition' verkauft wird. Der Intelligenz-Begriff ist wohl das populärste Produkt einer Praxis, bei der die inhaltliche Fassung einer Größe i.d.R. den Meßmethoden nachgeordnet ist.

Verschiedene Autoren haben diesen Zustand beschrieben, wobei die Einschätzungen von "methodischen Unzulänglichkeiten" bis zu "Orientierungslosigkeit" gehen. So stört sich bspw. E. TULVING, auf den die Unterscheidung von 'semantischem' und 'episodischem' Gedächtnis zurückgeht, besonders am oft esoterischen Charakter psychologischer Konzepte.

"They are used by small groups of people and either ignored or found confusing by others. There is also a good deal of terminological confusion. One and the same term may be used in rather different senses by different investigators."[2]

Andere, wie WETHERICK & DAVIES sehen die Ursache der Misere gar in einer Identitätskrise der Psychologie, in der diese sich seit ihren Anfängen befände.

"From the beginning, Psychology has suffered a crisis of identity. At no time has it been clear, even to its practitioners, what constituted the boundaries of the discipline."[3]

Offensichtliche Schwierigkeiten, analytische Kategorien zu etablieren und brauchbare stabile Definitionen zu formulieren, können demnach eng mit dem Fehlen einer solchen Definition für die Psychologie selbst zusammenhängen. Die gängige Selbstdarstellung als 'Wissenschaft vom Erleben und Verhalten' erweist sich als Un-Sinn, weil die Bedeutung eben dieser beiden Termini erst geklärt werden müßte; eine Definition der Psychologie auf solcher Grundlage hat keine wirkliche Perspektive.

Mit der Physik als oft strapaziertem Vorbild der psychologischen Forschungsmethodik wird die Absurdität dieser Situation vollends augenfällig: Eine Physik, die semantisch eng beieinanderliegende Begriffe wie Kraft, Energie und Leistung nicht auseinanderzuhalten bemüht ist, sondern sie über momentan opportun erscheinende Methoden 'operationalisiert', käme niemals zu einem System wechselseitig konsistenter Aussagen, es sei denn per Zufall.

Stellt man sich weiter einen Forscher vor, der sich mit Prozessen auf atomarem oder subatomarem Niveau befaßt, die sich bekanntermaßen oft nur über einige Mikrosekunden erstrecken, wird plausibel, daß sich ohne genaue Definition dessen, was beobachtet werden soll, gar nichts beobachtet werden kann! - Es bedarf deshalb einer Form von Hypothesen, die Ausdruck einer Erwartungshaltung als Produkt vorangegangener theoretischer Arbeit sind.[4]

Vor diesem Hintergrund erheben sich zwei Minimalforderungen an wissenschaftliches Vorgehen:

  1. Um das Auftreten bestimmter Prozesse festhalten zu können, bedarf es exakter Definitionen derselben. Zu einer solchen Definition bedarf es geeigneter Meßvorschriften. Das sind 'modale' oder 'kausale Transformationen'# die das unmittelbar (über die Sinnesorgane des Forschers) beobachtbare Phänomen mit den als intern ablaufend gedachten Prozessen verknüpfen.[5]
  2. Es ist notwendig, Begriffe, die alltagssprachlich als Synonyme verwendet werden, als disjunkte Konzepte zu definieren (Bsp.: Angst vs. Furcht). Dadurch wird der Informationsgehalt der einzelnen Begriffe umso stärker zunehmen, als deren Bedeutungen sich zuvor überlappt hatten.
  3. Das folgt aus der Definition von Redundanz als der 'Menge an Information, die zwei Zeichen gemeinsam ist'. Bei vollständiger Redundanz ist daher der zweite Begriff (das 'Synonym') überflüssig; liegt dagegen keine Redundanz vor, sind sie also disjunkt, so wird die mittels zweier Zeichen darstellbare Informationsmenge maximiert.[6]

Die Forderung (i) richtet sich an wissenschaftliches Vorgehen allgemein, während Forderung (ii) das Zentrum der folgenden Ausführungen darstellt. Das Ziel dabei ist, meine einfachen Prämissen und Folgerungen der Hoffnung F. PERLS entsprechend in einer ebenso einfachen und klaren Sprache zu verfassen:

"...if we bring these premises, simply expressed, out into the open, we will be able to use them continually as a yardstick against which to measure the reliability and the utility of our concepts, and we will be able to undertake our exploration with both pleasure and profit."[7]
  1. Perls, F.: The Gestalt Approach & Eye Witness to Therapy. (1973)
  2. Tulving, E.: Memory Research: What Kind of Progress? in: NILSSON, I. (1979) S.26 ff
  3. Wetherick, N. & Davies, P.: Whither Psychology? in: TINS Januar 1980, S.1 ff
  4. vgl. 'Modell & Theorie' in diesem Kapitel
  5. vgl. 'Modell & Theorie' in diesem Kapitel
  6. vgl. MITTENECKER: Informationstheorie für Psychologen. (1976)
  7. Perls, F.: The Gestalt Approach & Eye Witness to Therapy. (1973)