Zur Modellbildung in der Gedächtnisforschung:Kapitel I: Unterschied zwischen den Versionen
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''"...if we bring these premises, simply expressed, out into the open, we will be able to use them continually as a yardstick against which to measure the reliability and the utility of our concepts, and we will be able to undertake our exploration with both pleasure and profit."''<ref>Perls, F.: The Gestalt Approach & Eye Witness to Therapy. (1973)</ref> | ''"...if we bring these premises, simply expressed, out into the open, we will be able to use them continually as a yardstick against which to measure the reliability and the utility of our concepts, and we will be able to undertake our exploration with both pleasure and profit."''<ref>Perls, F.: The Gestalt Approach & Eye Witness to Therapy. (1973)</ref> | ||
===Modell & Theorie=== | |||
Dieser Abschnitt hat zum Ziel, einen Modellbegriff zu finden der (1) selbst formal präzis definiert ist, und (2) dessen Position innerhalb einer Theorie genau definiert ist. | |||
Nach STACHOWIAK<ref>Stachowiak,H.: Allgemeine Modelltheorie, xxxx, S.131</ref> lassen sich drei Hauptmerkmale von Modellen identifizieren: | |||
#Abbildungsmerkmal: Modelle sind immer Abbildungen von etwas, das selbst wiederum auch ein Modell sein kann. Jede Entität wird zum Modell, wenn sie durch eine geeignete Abbildungsvorschrift einer anderen Entität zugeordnet wird. | |||
#Verkürzungsmerkmal: Es werden nur die Originalattribute entsprechenden Modellattributen zugeordnet, die als signifikant angesehen werden. Es gibt also prinzipiell unendlich viele mögliche (= denkbare) Modelle desselben Originals. | |||
#Pragmatisches Merkmal: Welches der denkbaren Modelle letzendlich benutzt wird, hängt (1) vom jeweiligen Forscher, (2) vom speziellen Zeitraum und (3) von den jeweils interessierenden konkreten oder abstrakten Operationen ab. | |||
Diese Charakterisierung ist unmittelbar plausibel, trägt aber eher deskriptive als analytische Züge und erscheint mir darum als Basis einer Begriffsklärung zu schwach. | |||
Die 'mathematische Modelltheorie'<ref>Potthoff,K.: Einführungen in die Modelltheorie und ihre Anwendungen, 1981</ref> liefert einen sehr exakten und analytisch brauchbaren Modellbegriff, der über die Termini 'abstrakte relationale Struktur' (A.R.S.) und 'Theorie' definiert ist.<ref>BUNGE,M.: Treatise on Basic Philosophy (Semantics II: Interpretation and Truth), 1974, S.3ff</ref> Dies soll im Folgenden | |||
genauer beschrieben werden: | |||
Eine axiomatisierte Theorie erhält man durch Beschreibung einer 'Struktur'# zusammenhängender kanonischer Konzepte, der sogenannten 'abstrakten relationalen Struktur' (A.R.S.) die sich auch in der Form | |||
A = {a1,a2,...,an} | |||
darstellen läßt. Die Theorie heißt dann entsprechend 'Theorie von A' oder T(A). Ein Modell schließlich erhält man durch eine Interpretation 'm' der Elemente von A, | |||
M = {m(a1),m(a2),...,m(an)} | |||
d.h. 'Modell' bezeichnet zunächst eine Menge konkreter Einheiten, deren Relationen den Axiomen und Sätzen der 'Theorie von A' genügen müssen. Die 'Theorie von A' ist dann auch eine 'Theorie des Modells'; | |||
T(A) = T(M). | |||
Im Folgenden gebe ich die Definitionen für drei recht nützliche Eigenschaften dieses Modellbegriffs wieder: | |||
Def.: | |||
Sei T(A) eine abstrakte Theorie mit der kanonischen Basis A={a1,a2,...,an} bestehend aus n nichtlogischen Konstanten; weiter sei M={m(a1),m(a2),...,m(an)} der Wert einer Interpretation 'm' auf A, die keine bloße Permutation der Elemente von A bewirkt. | |||
Dann hat M den 'syntaktischen Rang' n, den 'semantischen Rang' m_n und den 'Abstraktionsgrad' alpha=1-m/n. | |||
Def.: | |||
M={m(a1),m(a2),...,m(an)} ist ein 'volles Modell' von A={a1,a2,...,an} <=> alpha=0; und M ist ein 'partielles Modell' von A <=> 0 < alpha < 1. | |||
Die für die folgenden Ausführungen relevanten Punkte fasse ich nochmals zusammen: | |||
#Die Gemeinsamkeiten von Elementen des Modells und Elementen der abstrakten relationalen Struktur beschränken sich auf den gemeinsamen Index, d.h. a1 entspricht m(a1) usf. | |||
#Die Beziehungen zwischen den Elementen einer Struktur bzw. eines Modells werden durch eine Theorie definiert (%T(A) bzw. T(M)%); sie existieren nicht per se. | |||
#Daraus folgt, daß eine Theorie konkreter Phänomene, also mit alpha%<%1, mindestens ein partielles Modell erfordert; keine Theorie ohne Modell also! | |||
Ein so definierter Modellbegriff scheint für die Forschungspraxis (noch) nicht sehr brauchbar zu sein; es bedarf dazu einer kleinen Operation, denn: | |||
Der Wissenschaftler sucht keine Modelle für irgendeine A.R.S., sondern für konkret (empirisch!) vorgefundene Phänomene. | |||
Das aber hieße, daß Wissenschaft darin besteht, Realität (das Phänomen) mit Realität (das Modell) zu vergleichen, was einer schlichten Phänomen-Kategorisierung gleichkäme. Dem ist aber nicht so: Der Forscher konstruiert (wenigstens implizit) aus seinem Betrachtungsfeld heraus eine A.R.S. indem er relevante Einheiten definiert. Dann erst kann er ein Modell konstruieren, indem er diese A.R.S. in einem anderen Realitätsbereich reinterpretiert. | |||
Der obige Einwand kann also zurückgewiesen werden. | |||
Rom HARRE1 hat seinen Modellbegriff ebenfalls in engem Zusammenhang mit dem der Theorie definiert. Obwohl er nicht axiomatisch-formal vorgeht, sondern Modelle im Rahmen einer neuen Strategie der Theorie-Konstruktion abhandelt, eröffnet sein Modellbegriff, vereinigt mit dem der Mathematiker, eine fundierte und praktikable Strategie kreativer wissenschaftlicher Arbeit. | |||
Sein Konzept von Theorien ist etwas breiter als das der Mathematiker: | |||
Theorien werden als Lösung einer speziellen Art von Problemstellung betrachtet, nämlich 'Wie kommt es, daß uns Phänomene auf genau die Art und Weise erscheinen, wie dies eben der Fall ist?' | |||
Eine Theorie hat demnach die Aufgabe einer Rekonstruktion uns verborgener Mechanismen. Dies erfordert u.U. (meist!) ein 'Auffüllen' von bestehenden Wissenslücken. So gelangt man über die Forderung einer Rekonstruktion zur Konstruktion eines Modells, welches auf Prozessen und Materalien basiert die uns bekannt sind und die wir verstehen. Solche Theorien bestehen billigerweise aus mindestens drei Mengen von Sätzen: | |||
Eine zur Beschreibung des Phänomens (1), eine weitere zur Beschreibung des Modells (2), und schließlich mindestens eine zur Beschreibung des Materials aus dem das Modell besteht (3-N). | |||
Um eine zu breite, und damit nichtssagende Verwendung des Wortes 'Modell' auszuschließen, führt Harre eine 'Taxonomie von Modellen' ein, die im Wesentlichen zwischen 'ikonischen' und 'sententiellen' Modellen sowie zwischen 'Modellen für' und 'Modellen von' differenziert: | |||
Seien T und T' Mengen von Sätzen mit Elementen p bzw. q. | |||
Def.: | |||
Dann ist T' ein 'sententielles Modell' von T, wenn es für jedes p in T ein q in T' gibt, so daß gilt: | |||
1. q -> p (wenn q zulässig ist, dann ist p wahr), und | |||
2. ^p -> ^q (wenn p falsch ist, dann ist q unzulässig). | |||
Def.: | |||
M ist ein 'ikonisches Modell' von N, wenn M von T' bzw. N von T beschrieben wird, und T' ein sententielles Modell von T ist. | |||
Für die zweite Trennung wird es notwendig, zwischen der 'Quelle' und dem 'Subjekt' eines Modells zu unterscheiden: | |||
*Quelle ('source') steht für den inhaltlichen Bereich der dem Modell zugrundeliegt; | |||
*Subjekt hingegen bezeichnet den inhaltlichen Bereich, der modelliert werden soll. | |||
Ein 'Modell von' ist dann durch die Eigenschaft >Quelle = Subjekt< hinreichend beschrieben und heißt bei Harre 'Homomorphismus'; | |||
beim 'Modell für' gilt: >Quelle ^= Subjekt<, das Etikett heißt 'Paramorphismus'. | |||
Das Interesse Harres gilt vor allem den Paramorphismen. Da diese Modelle einem anderen inhaltlichen Kontext entstammen als das zu modellierende Subjekt, ermöglichen sie die Formulierung sogenannter 'Existenzhypothesen'. Diese sind Hypothesen, die auf die Existenz von Einheiten abzielen, welche denen des Modells analog sind, und noch nicht als Bestandteil des Subjekts erkannt worden sind. Auf diese Weise wird die Konstruktion eines Modells zum kreativen Akt bei der Entwicklung von Theorien. | |||
Innerhalb der Menge von Sätzen, die das Modell beschreiben (s.o.(2)), verdienen diejenigen, welche die Phänomene mit dem hypothetischen Mechanismus verbinden besondere Aufmerksamkeit. Diese Verbindungen von Mechanismen und Oberflächenphänomenen können nach Harre zwei verschiedene Formen annehmen: | |||
#kausale Transformationen: Bestimmte Zustände des Mechanismus' bewirken andere Zustände, die der Beobachtung als 'Phänomen' zugänglich sind. Ein prominentes Beispiel ist die Erklärung der kinetischen Gastheorie für das Zustandekommen des Gasdrucks. | |||
#modale Transformationen: Diese Verbindungen beschreiben lediglich Veränderungen der verwendeten Termini beim Wechsel des Betrachtungsniveaus. Auch dafür liefert die kinetische Gastheorie ein Beispiel. Die Wärme eines Gases läßt sich ebenso als die 'mittlere kinetische Energie' aller seiner Moleküle beschreiben, je nachdem welches Analyse- oder Betrachtungsniveau gewählt wird. | |||
Diese Unterscheidung ist sinnvoll, da sie eine Trennung von Theorien in Phänomen-Erklärungen und Phänomen-Beschreibungen erlaubt. Letztere enthalten keinerlei 'kausale Transformationen', weshalb Harre sie als 'Metaphern' bezeichnet. | |||
Auf der Grundlage dieser Terminologie schlägt Harre eine Methode zur Analyse von Theorien und den darin enthaltenen Modellen vor. Vier Komponenten der Theorie bilden die Grundlage der Analyse: Das Phänomen, die Transformationen, der hypothetische Mechanismus und dessen Quellen. | |||
Anhand DARWINs Theorie von der Entstehung der Arten läßt sich das in prägnanter Weise demonstrieren: | |||
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|- | |||
!Phänomen!!Transformationen!!Hypothetischer Mechanismus!!Quellen | |||
|- | |||
|Vielfalt der Arten | |||
|Ursache der Artenvielfalt ist die natürliche Selektion | |||
|Natürliche Selektion im 'Kampf ums Dasein' | |||
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#Zucht von Haustieren | |||
#Theorie von Malthus | |||
|} | |||
Ein Paramorphismus, das eigentliche Kernstück jeder Theorie, ist der unter Bezugnahme auf die Quelle(n) formulierte hypothetische Mechanismus. Kausale und modale Transformationen verbinden diesen Mechanismus mit beobachtbaren Phänomenen, der Empirie also. |
Aktuelle Version vom 5. September 2025, 20:04 Uhr
Definitorische Festlegungen
Wozu ?
Vorausgesetzt, daß ein wissenschaftlich zu nennendes Denkgebäude aus einem System von Sätzen besteht, welche gewissen Forderungen einer Aussagen-, Klassen-, oder Prädikatenlogik genügen, so ist ein Vokabular, dessen Elemente geeignet sind, empirische Befunde und theoretische Herleitungen prägnant und eindeutig zu dokumentieren, von unbestreitbarem Vorteil.
Die wissenschaftliche Psychologie, wie auch die psychologische Gedächtnisforschung als deren Teilgebiet, verfügt bislang nicht über einen solchen Vorrat an Fach-Termini: Es gibt schlicht keine verbindliche Psychologische Fachsprache.
Dieser Zustand macht sich in außerordentlich störender Weise bemerkbar wenn man den Versuch wagt, einen wenigstens partiell innovativen Ansatz in Worte zu fassen. Vertritt man die These, daß unscharfe Begriffe eine komplizierte Terminologie zur Folge haben, ergibt sich im weiteren das Problem, dem sich der Begründer der Gestalt-Therapie Fritz PERLS gegenüber sah.
"The Approach here presented rests on a set of premises that are neither abstruse nor unreasonable. On the contrary, they are, by and large, common sense assumptions which experience can easily verify. As a matter of fact, although they are frequently expressed in complicated terminology which serves the triple function of confusing the reader, inflating the self-importance of the writer and obscuring the issues they are meant to enlighten, these assumptions underlie a large part of contemporary psychology."[1]
Diese Feststellung mag banal klingen, bringt sie doch nur zum Ausdruck, was kein Kenner oder Betreiber psychologischer Erkenntnistätigkeit ernsthaft zurückweisen würde; ein 'offenes Geheimnis' sozusagen. Seltsamerweise scheint dieser Umstand, der mir als ein schweres Handicap jedweder wissenschaftlichen Arbeit erscheint, niemanden so richtig zu stören. "Erlaubt ist was gefällt" scheint das Motto dessen zu sein, was gemeinhin als 'Operationale Definition' verkauft wird. Der Intelligenz-Begriff ist wohl das populärste Produkt einer Praxis, bei der die inhaltliche Fassung einer Größe i.d.R. den Meßmethoden nachgeordnet ist.
Verschiedene Autoren haben diesen Zustand beschrieben, wobei die Einschätzungen von "methodischen Unzulänglichkeiten" bis zu "Orientierungslosigkeit" gehen. So stört sich bspw. E. TULVING, auf den die Unterscheidung von 'semantischem' und 'episodischem' Gedächtnis zurückgeht, besonders am oft esoterischen Charakter psychologischer Konzepte.
"They are used by small groups of people and either ignored or found confusing by others. There is also a good deal of terminological confusion. One and the same term may be used in rather different senses by different investigators."[2]
Andere, wie WETHERICK & DAVIES sehen die Ursache der Misere gar in einer Identitätskrise der Psychologie, in der diese sich seit ihren Anfängen befände.
"From the beginning, Psychology has suffered a crisis of identity. At no time has it been clear, even to its practitioners, what constituted the boundaries of the discipline."[3]
Offensichtliche Schwierigkeiten, analytische Kategorien zu etablieren und brauchbare stabile Definitionen zu formulieren, können demnach eng mit dem Fehlen einer solchen Definition für die Psychologie selbst zusammenhängen. Die gängige Selbstdarstellung als 'Wissenschaft vom Erleben und Verhalten' erweist sich als Un-Sinn, weil die Bedeutung eben dieser beiden Termini erst geklärt werden müßte; eine Definition der Psychologie auf solcher Grundlage hat keine wirkliche Perspektive.
Mit der Physik als oft strapaziertem Vorbild der psychologischen Forschungsmethodik wird die Absurdität dieser Situation vollends augenfällig: Eine Physik, die semantisch eng beieinanderliegende Begriffe wie Kraft, Energie und Leistung nicht auseinanderzuhalten bemüht ist, sondern sie über momentan opportun erscheinende Methoden 'operationalisiert', käme niemals zu einem System wechselseitig konsistenter Aussagen, es sei denn per Zufall.
Stellt man sich weiter einen Forscher vor, der sich mit Prozessen auf atomarem oder subatomarem Niveau befaßt, die sich bekanntermaßen oft nur über einige Mikrosekunden erstrecken, wird plausibel, daß sich ohne genaue Definition dessen, was beobachtet werden soll, gar nichts beobachtet werden kann! - Es bedarf deshalb einer Form von Hypothesen, die Ausdruck einer Erwartungshaltung als Produkt vorangegangener theoretischer Arbeit sind.[4]
Vor diesem Hintergrund erheben sich zwei Minimalforderungen an wissenschaftliches Vorgehen:
- Um das Auftreten bestimmter Prozesse festhalten zu können, bedarf es exakter Definitionen derselben. Zu einer solchen Definition bedarf es geeigneter Meßvorschriften. Das sind 'modale' oder 'kausale Transformationen'# die das unmittelbar (über die Sinnesorgane des Forschers) beobachtbare Phänomen mit den als intern ablaufend gedachten Prozessen verknüpfen.[5]
- Es ist notwendig, Begriffe, die alltagssprachlich als Synonyme verwendet werden, als disjunkte Konzepte zu definieren (Bsp.: Angst vs. Furcht). Dadurch wird der Informationsgehalt der einzelnen Begriffe umso stärker zunehmen, als deren Bedeutungen sich zuvor überlappt hatten.
- Das folgt aus der Definition von Redundanz als der 'Menge an Information, die zwei Zeichen gemeinsam ist'. Bei vollständiger Redundanz ist daher der zweite Begriff (das 'Synonym') überflüssig; liegt dagegen keine Redundanz vor, sind sie also disjunkt, so wird die mittels zweier Zeichen darstellbare Informationsmenge maximiert.[6]
Die Forderung (i) richtet sich an wissenschaftliches Vorgehen allgemein, während Forderung (ii) das Zentrum der folgenden Ausführungen darstellt. Das Ziel dabei ist, meine einfachen Prämissen und Folgerungen der Hoffnung F. PERLS entsprechend in einer ebenso einfachen und klaren Sprache zu verfassen:
"...if we bring these premises, simply expressed, out into the open, we will be able to use them continually as a yardstick against which to measure the reliability and the utility of our concepts, and we will be able to undertake our exploration with both pleasure and profit."[7]
Modell & Theorie
Dieser Abschnitt hat zum Ziel, einen Modellbegriff zu finden der (1) selbst formal präzis definiert ist, und (2) dessen Position innerhalb einer Theorie genau definiert ist.
Nach STACHOWIAK[8] lassen sich drei Hauptmerkmale von Modellen identifizieren:
- Abbildungsmerkmal: Modelle sind immer Abbildungen von etwas, das selbst wiederum auch ein Modell sein kann. Jede Entität wird zum Modell, wenn sie durch eine geeignete Abbildungsvorschrift einer anderen Entität zugeordnet wird.
- Verkürzungsmerkmal: Es werden nur die Originalattribute entsprechenden Modellattributen zugeordnet, die als signifikant angesehen werden. Es gibt also prinzipiell unendlich viele mögliche (= denkbare) Modelle desselben Originals.
- Pragmatisches Merkmal: Welches der denkbaren Modelle letzendlich benutzt wird, hängt (1) vom jeweiligen Forscher, (2) vom speziellen Zeitraum und (3) von den jeweils interessierenden konkreten oder abstrakten Operationen ab.
Diese Charakterisierung ist unmittelbar plausibel, trägt aber eher deskriptive als analytische Züge und erscheint mir darum als Basis einer Begriffsklärung zu schwach.
Die 'mathematische Modelltheorie'[9] liefert einen sehr exakten und analytisch brauchbaren Modellbegriff, der über die Termini 'abstrakte relationale Struktur' (A.R.S.) und 'Theorie' definiert ist.[10] Dies soll im Folgenden genauer beschrieben werden:
Eine axiomatisierte Theorie erhält man durch Beschreibung einer 'Struktur'# zusammenhängender kanonischer Konzepte, der sogenannten 'abstrakten relationalen Struktur' (A.R.S.) die sich auch in der Form
A = {a1,a2,...,an}
darstellen läßt. Die Theorie heißt dann entsprechend 'Theorie von A' oder T(A). Ein Modell schließlich erhält man durch eine Interpretation 'm' der Elemente von A,
M = {m(a1),m(a2),...,m(an)}
d.h. 'Modell' bezeichnet zunächst eine Menge konkreter Einheiten, deren Relationen den Axiomen und Sätzen der 'Theorie von A' genügen müssen. Die 'Theorie von A' ist dann auch eine 'Theorie des Modells';
T(A) = T(M).
Im Folgenden gebe ich die Definitionen für drei recht nützliche Eigenschaften dieses Modellbegriffs wieder:
Def.:
Sei T(A) eine abstrakte Theorie mit der kanonischen Basis A={a1,a2,...,an} bestehend aus n nichtlogischen Konstanten; weiter sei M={m(a1),m(a2),...,m(an)} der Wert einer Interpretation 'm' auf A, die keine bloße Permutation der Elemente von A bewirkt.
Dann hat M den 'syntaktischen Rang' n, den 'semantischen Rang' m_n und den 'Abstraktionsgrad' alpha=1-m/n.
Def.:
M={m(a1),m(a2),...,m(an)} ist ein 'volles Modell' von A={a1,a2,...,an} <=> alpha=0; und M ist ein 'partielles Modell' von A <=> 0 < alpha < 1.
Die für die folgenden Ausführungen relevanten Punkte fasse ich nochmals zusammen:
- Die Gemeinsamkeiten von Elementen des Modells und Elementen der abstrakten relationalen Struktur beschränken sich auf den gemeinsamen Index, d.h. a1 entspricht m(a1) usf.
- Die Beziehungen zwischen den Elementen einer Struktur bzw. eines Modells werden durch eine Theorie definiert (%T(A) bzw. T(M)%); sie existieren nicht per se.
- Daraus folgt, daß eine Theorie konkreter Phänomene, also mit alpha%<%1, mindestens ein partielles Modell erfordert; keine Theorie ohne Modell also!
Ein so definierter Modellbegriff scheint für die Forschungspraxis (noch) nicht sehr brauchbar zu sein; es bedarf dazu einer kleinen Operation, denn:
Der Wissenschaftler sucht keine Modelle für irgendeine A.R.S., sondern für konkret (empirisch!) vorgefundene Phänomene.
Das aber hieße, daß Wissenschaft darin besteht, Realität (das Phänomen) mit Realität (das Modell) zu vergleichen, was einer schlichten Phänomen-Kategorisierung gleichkäme. Dem ist aber nicht so: Der Forscher konstruiert (wenigstens implizit) aus seinem Betrachtungsfeld heraus eine A.R.S. indem er relevante Einheiten definiert. Dann erst kann er ein Modell konstruieren, indem er diese A.R.S. in einem anderen Realitätsbereich reinterpretiert.
Der obige Einwand kann also zurückgewiesen werden.
Rom HARRE1 hat seinen Modellbegriff ebenfalls in engem Zusammenhang mit dem der Theorie definiert. Obwohl er nicht axiomatisch-formal vorgeht, sondern Modelle im Rahmen einer neuen Strategie der Theorie-Konstruktion abhandelt, eröffnet sein Modellbegriff, vereinigt mit dem der Mathematiker, eine fundierte und praktikable Strategie kreativer wissenschaftlicher Arbeit.
Sein Konzept von Theorien ist etwas breiter als das der Mathematiker:
Theorien werden als Lösung einer speziellen Art von Problemstellung betrachtet, nämlich 'Wie kommt es, daß uns Phänomene auf genau die Art und Weise erscheinen, wie dies eben der Fall ist?'
Eine Theorie hat demnach die Aufgabe einer Rekonstruktion uns verborgener Mechanismen. Dies erfordert u.U. (meist!) ein 'Auffüllen' von bestehenden Wissenslücken. So gelangt man über die Forderung einer Rekonstruktion zur Konstruktion eines Modells, welches auf Prozessen und Materalien basiert die uns bekannt sind und die wir verstehen. Solche Theorien bestehen billigerweise aus mindestens drei Mengen von Sätzen: Eine zur Beschreibung des Phänomens (1), eine weitere zur Beschreibung des Modells (2), und schließlich mindestens eine zur Beschreibung des Materials aus dem das Modell besteht (3-N).
Um eine zu breite, und damit nichtssagende Verwendung des Wortes 'Modell' auszuschließen, führt Harre eine 'Taxonomie von Modellen' ein, die im Wesentlichen zwischen 'ikonischen' und 'sententiellen' Modellen sowie zwischen 'Modellen für' und 'Modellen von' differenziert:
Seien T und T' Mengen von Sätzen mit Elementen p bzw. q.
Def.:
Dann ist T' ein 'sententielles Modell' von T, wenn es für jedes p in T ein q in T' gibt, so daß gilt: 1. q -> p (wenn q zulässig ist, dann ist p wahr), und 2. ^p -> ^q (wenn p falsch ist, dann ist q unzulässig).
Def.:
M ist ein 'ikonisches Modell' von N, wenn M von T' bzw. N von T beschrieben wird, und T' ein sententielles Modell von T ist.
Für die zweite Trennung wird es notwendig, zwischen der 'Quelle' und dem 'Subjekt' eines Modells zu unterscheiden:
- Quelle ('source') steht für den inhaltlichen Bereich der dem Modell zugrundeliegt;
- Subjekt hingegen bezeichnet den inhaltlichen Bereich, der modelliert werden soll.
Ein 'Modell von' ist dann durch die Eigenschaft >Quelle = Subjekt< hinreichend beschrieben und heißt bei Harre 'Homomorphismus';
beim 'Modell für' gilt: >Quelle ^= Subjekt<, das Etikett heißt 'Paramorphismus'.
Das Interesse Harres gilt vor allem den Paramorphismen. Da diese Modelle einem anderen inhaltlichen Kontext entstammen als das zu modellierende Subjekt, ermöglichen sie die Formulierung sogenannter 'Existenzhypothesen'. Diese sind Hypothesen, die auf die Existenz von Einheiten abzielen, welche denen des Modells analog sind, und noch nicht als Bestandteil des Subjekts erkannt worden sind. Auf diese Weise wird die Konstruktion eines Modells zum kreativen Akt bei der Entwicklung von Theorien.
Innerhalb der Menge von Sätzen, die das Modell beschreiben (s.o.(2)), verdienen diejenigen, welche die Phänomene mit dem hypothetischen Mechanismus verbinden besondere Aufmerksamkeit. Diese Verbindungen von Mechanismen und Oberflächenphänomenen können nach Harre zwei verschiedene Formen annehmen:
- kausale Transformationen: Bestimmte Zustände des Mechanismus' bewirken andere Zustände, die der Beobachtung als 'Phänomen' zugänglich sind. Ein prominentes Beispiel ist die Erklärung der kinetischen Gastheorie für das Zustandekommen des Gasdrucks.
- modale Transformationen: Diese Verbindungen beschreiben lediglich Veränderungen der verwendeten Termini beim Wechsel des Betrachtungsniveaus. Auch dafür liefert die kinetische Gastheorie ein Beispiel. Die Wärme eines Gases läßt sich ebenso als die 'mittlere kinetische Energie' aller seiner Moleküle beschreiben, je nachdem welches Analyse- oder Betrachtungsniveau gewählt wird.
Diese Unterscheidung ist sinnvoll, da sie eine Trennung von Theorien in Phänomen-Erklärungen und Phänomen-Beschreibungen erlaubt. Letztere enthalten keinerlei 'kausale Transformationen', weshalb Harre sie als 'Metaphern' bezeichnet.
Auf der Grundlage dieser Terminologie schlägt Harre eine Methode zur Analyse von Theorien und den darin enthaltenen Modellen vor. Vier Komponenten der Theorie bilden die Grundlage der Analyse: Das Phänomen, die Transformationen, der hypothetische Mechanismus und dessen Quellen.
Anhand DARWINs Theorie von der Entstehung der Arten läßt sich das in prägnanter Weise demonstrieren:
Phänomen | Transformationen | Hypothetischer Mechanismus | Quellen |
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Vielfalt der Arten | Ursache der Artenvielfalt ist die natürliche Selektion | Natürliche Selektion im 'Kampf ums Dasein' |
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Ein Paramorphismus, das eigentliche Kernstück jeder Theorie, ist der unter Bezugnahme auf die Quelle(n) formulierte hypothetische Mechanismus. Kausale und modale Transformationen verbinden diesen Mechanismus mit beobachtbaren Phänomenen, der Empirie also.
- ↑ Perls, F.: The Gestalt Approach & Eye Witness to Therapy. (1973)
- ↑ Tulving, E.: Memory Research: What Kind of Progress? in: NILSSON, I. (1979) S.26 ff
- ↑ Wetherick, N. & Davies, P.: Whither Psychology? in: TINS Januar 1980, S.1 ff
- ↑ vgl. 'Modell & Theorie' in diesem Kapitel
- ↑ vgl. 'Modell & Theorie' in diesem Kapitel
- ↑ vgl. MITTENECKER: Informationstheorie für Psychologen. (1976)
- ↑ Perls, F.: The Gestalt Approach & Eye Witness to Therapy. (1973)
- ↑ Stachowiak,H.: Allgemeine Modelltheorie, xxxx, S.131
- ↑ Potthoff,K.: Einführungen in die Modelltheorie und ihre Anwendungen, 1981
- ↑ BUNGE,M.: Treatise on Basic Philosophy (Semantics II: Interpretation and Truth), 1974, S.3ff