Hannes Hofbauer am 12.12.2025:Wirtschaftskrieg gegen Russland: Unterschied zwischen den Versionen
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Dass es von Anfang an auf dem Kiewer Majdan nicht um Demokratie, sondern gegen Russland ging, darauf machte der alte US-Haudegen, Vietnamkriegsveteran und republikanischer US-Senator John McCain aufmerksam. Anlässlich eines Besuchs in Kiew während der Majdan-Proteste im Dezember 2013 meinte er: „Es gibt keinen Zweifel, dass die Ukraine von vitalem Interesse für Putin ist. Ich denke, es war Kissinger – bin aber nicht sicher –, der sagte, Russland ohne Ukraine ist eine östliche Macht, mit der Ukraine eine westliche Macht. Hier beginnt Russland, genau hier in Kiew.“ McCain hätte auch den langjährigen Präsidentenberater Zbigniew Brzeziński zitieren können, der schon im Jahr 1994 meinte: „Ohne die Ukraine wird Russland nie wieder eine Weltmacht werden.“ Um die Zurückdrängung Russlands ging es. Deshalb standen in der Protestbewegung Rechtsliberale und Faschisten aus der Ukraine Seite an Seite mit den höchsten Diplomaten aus Deutschland, Polen, Schweden und den USA im Kiewer Kampfgeschehen. McCain war nicht der einzige, der wusste, was er tat, als er den Kämpfern vom Majdan Mut zusprach. | |||
Mit dem 6. März 2014 begann, transatlantisch abgesprochen, das Sanktionsregime gegen russische Personen und – kurz darauf – gegen russische Unternehmen und ganze Branchen. Anfangs landeten Menschen, denen Washington und Brüssel vorwarfen, gegen Majdan-ukrainische Interessen zu handeln oder für die Abspaltung der Krim verantwortlich zu sein, auf schwarzen Listen. Sergej Glasjew war einer der ersten, die der Bannstrahl traf. Ihn hatte der Kreml ausgesandt, um ex-sowjetische Republiken bei der russischen Stange zu halten. Auch weniger politisch exponierte Figuren wie beispielsweise der bekannte russische Sänger Iossif Kobson wurden sanktioniert. Er hatte im Oktober 2014 in Donezk, seiner Heimat, ein Konzert gegeben. Brüssel setzte ihn deswegen auf die schwarze Liste. Sanktioniert zu sein, bedeutete Einreiseverbot und Vermögensentzug in der gesamten EU. Mittlerweile verloren Hunderte Oligarchen auf diese Weise den Zugriff auf ihre Unternehmen, Immobilien, Jachten und einer sogar seinen britischen Fußballklub „Chelsea“. EU-Konzerne profitierten davon, konnten sie sich doch mithilfe der Sanktionen lästige Konkurrenz vom Hals schaffen. | |||
Die ersten russischen Unternehmen, denen Brüssel und Washington die Märkte sperrten, waren Dual-Use-Güter-Produzenten und einzelne Banken, denen eine Nähe zum Kreml vorgeworfen wurde. Bald darauf waren es ganze Branchen, die mit Sanktionen belegt wurden. Dass sich diese Politik nicht nur auf Russland, sondern auch auf die Volkswirtschaften sanktionierender Länder auswirkte, zeigt ein Blick in die Außenhandelsstatistik des Jahres 2013, dem letzten Jahr, bevor die Sanktionsmaschine angeworfen wurde. Damals nahmen die EU-Staaten 51% der russischen Exporte ab und waren für 36% der russischen Importe zuständig. Die Vergleichszahlen für die USA lauteten: 2,5% bzw. 4,8%. In anderen Worten: die mit der Sanktionspolitik angestrebte Schädigung Russlands hatte dies- und jenseits des Atlantiks total unterschiedliche Auswirkungen. Während die US-Wirtschaft davon fast unberührt blieb, schnitt sich die Europäische Union damit tief ins eigene Fleisch. Man könnte sich auch mit der Interpretation anfreunden, dass die von den USA betriebenen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen gegen Russland willentlich europäischen Volkswirtschaften Schaden zufügen sollten. Augenfällig ist dies spätestens am 26. September 2022 geworden, als die energetische Nabelschnur zwischen Russland und Deutschland, die Nord Stream Pipeline, gesprengt wurde. | |||
Während anfangs vor allem Russland und eine Reihe von Staaten der EU unter den Sanktionen litten, profitieren die USA … und China. Dies verschärfte sich noch durch russische Gegensanktionen, die Moskau ab August 2014 gegen „unfreundliche Staaten“ und deren Unternehmen in Gang setzte. Begonnen haben diese mit Importverboten von Agrargütern, womit polnische Äpfel, französischer Käse, holländische Milch und italienische Orangen vom russischen Markt ferngehalten wurden. Statt ihrer profitierten russische und türkische Bauern, Schweizer und belarussische Molkereien sowie marokkanische Exporteure. | |||
Der große Paukenschlag kam am 26. Februar 2022, zwei Tage nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine. Mit dem Einfrieren von 300 Mrd. russischer Zentralbankgelder im gesamten Dollar- und Euro-Raum war eine neue Qualität im Sanktionsreigen geschaffen. Der Ausbruch des bislang in der Weltgeschichte heftigsten Wirtschaftskrieges kann mit diesem Tag datiert werden. Zeitgleich wurden russische Banken vom SWIFT-System und damit vom Dollar-kontrollierten internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Auch bei den Zahlungsmitteln ist, wie im Außenhandel, die unterschiedliche Betroffenheit von USA und EU durch die Sanktionspolitik beachtenswert. Während die Europäische Union 191 Mrd. US-Dollar an russischen Werten sperrte, sind es in den USA vergleichsweise läppische 6 Mrd. US-Dollar. Washington tut sich also um ein Vielfaches leichter bei der Debatte, wie weiter mit den eingefrorenen Geldern verfahren werden soll. | |||
In EU-Europa wurde bereits damit begonnen, sich das Vermögen der russischen Zentralbank – mithin russisches Volksvermögen – anzueignen. Im Mai 2024 gab die EU-Kommission grünes Licht, die Zinsen der russischen Einlagen – 30 Mrd. US-Dollar – zu kassieren und die ersten Tranchen davon an die Ukraine, genauer: über den Umweg Kiews an Rheinmetall zu überweisen. Im Rechtsstaat würde man diesen Vorgang, sich Zinsen der Geldeinlagen des jeweiligen Besitzers anzueignen, Diebstahl nennen. Brüssel hat – ohne hörbaren Widerstand aus dem EU-Mitgliedsstaaten – genau dies getan. | |||
Um das gesamte Kapital der in der EU festgesetzten russischen Zentralbankgelder zu beschlagnahmen, wird seit mehr als einem Jahr heftig gestritten. Der bislang letzte, abenteuerlich anmutende Vorschlag der EU-Kommission, den auch Deutschlands Kanzler unterstützt, will die 191 Mrd. US-Dollar als Sicherheit für einen Kredit vergeben, der auf dem Kapitalmarkt aufgenommen wird, um selbigen an Kiew weiterzuleiten. Dieser Trick hat etwas Infantiles an sich. Denn um in Zukunft nicht für den Ausfall des Kredites haftbar gemacht werden zu können, stellt sich Ursula von der Leyen vor, Russland nach der herbeigesehnten Niederlage zu zwingen, auf die 191 Mrd. Zentralbankgelder im Rahmen von Entschädigungszahlungen zu verzichten. Sollte Russland dem nicht zustimmen oder gar den Krieg gewinnen, dann wären die EU sowie ihre Mitgliedsstaaten – allen voran Belgien, weil dort die russischen Zentralbankgelder liegen – haftbar. | |||
Ein stümperhafter Versuch von der Leyens, die Europäische Zentralbank in die Haftung miteinzubeziehen, scheiterte kläglich. Dort will sich niemand damit die Finger verbrennen, gestohlene Vermögenswerte zu besichern. Dies schon deshalb, weil eine Beschlagnahmung von Staatsvermögen durch fremde Gerichte verboten ist. Bereits im Mai 1972 regelte das „Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität“ den Schutz von Vermögen ausländischer Staaten. Es heißt dort unmissverständlich: „Die Staatenimmunität entzieht den Staat der Strafverfolgung durch die Gerichte anderer Saaten und schützt ihn vor der Zwangsvollstreckung seiner Guthaben und Vermögenswerte.“ Im Ausland befindliches Staatseigentum ist also vor dem Zugriff von Gerichten geschützt. Dazu kommt noch der immense internationale Vertrauensverlust in die Euro-Zone, der durch den Diebstahl russischen Vermögens per politischem EU-Beschluss stattfinden würde. | |||
Im Dezember 2025 hält die Europäische Union beim 19. Sanktionspaket gegen Russland und russische Unternehmen. Tatsächlich ist der wirtschaftliche – sowie der politische, sportliche, mediale, gesellschaftliche und kulturelle – Austausch mit dem großen Nachbarn im Osten auf nahezu Null gesunken. Mit Stichtag 15. Dezember 2025 stehen über 2700 Personen und Organisationen auf den schwarzen Listen Brüssels. | |||
Eine von unabhängiger Stelle veröffentlichte Quantifizierung der wirtschaftlichen Verluste Europas durch die EU-Sanktionen existiert nicht. Brüssel und Berlin halten sich diesbezüglich bedeckt. Das ist weiter nicht verwunderlich, würden doch die blanken Zahlen für jeden und jede ersichtlich machen, was er oder sie Woche für Woche an den steigenden Energiekosten und der Inflation zu spüren bekommt. Das russische Außenministerium veröffentlichte Anfang Dezember 2025 anlässlich einer UN-Sitzung die Zahl von 1,6 Billionen Euro – in Ziffern: 1.600.000.000.000 –, die den europäischen Unternehmen und Haushalten zwischen 2022 und 2025 durch die eigene Sanktionspolitik entzogen wurden. Die Zahl ist mit Vorsicht zu genießen. Angesichts der Tatsache, dass – laut Berechnungen von „Eurostat“ – allein die Erhöhung der Gaspreise seit 2022 mit 200 Mrd. Euro zu Buch schlagen, scheint die Berechnung des russischen Außenministeriums nicht ganz unrealistisch zu sein. | |||
Jedes der mittlerweile 19 Pakete beinhaltet neuen Sprengstoff im Kampf gegen Moskau. So erließ Brüssel im 9. Paket vom Dezember 2022 ein allgemeines Verbreitungsverbot für russisch finanzierte Medien, mithin eine EU-weite Zensurmaßnahme gegen russische Narrative die Weltlage betreffend. Nur drei Staaten in Europa beteiligen sich nicht daran: Serbien, die Schweiz und Belarus. Das 11. Sanktionspaket vom Juni 2023 barg eine neue Eskalationsstufe. Was bis dahin von EU-europäischen und deutschen Politikern heftig an US-Sanktionen kritisiert worden war, nämlich die sogenannte extraterritoriale Sanktion, wird seither auch von Brüssel betrieben. Damit landen chinesische, türkische oder kasachische Unternehmen auf schwarzen Listen, wenn sie im Verdacht stehen, EU-Sanktionen gegen Russland zu umgehen. Extraterritoriale Sanktionen stehen nicht zu Unrecht im Geruch, mit kolonialer Attitüde eigene Gesetze auf Drittstaaten und dortige Unternehmen überzustülpen. Der chinesische Geschäftsmann Lin Zhongheng mit seiner Shenzhen Biguang Trading Co. Ltd. ist nur einer von vielen nicht-russischen Opfern EU-europäischer wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen. | |||
Die Sanktionspaket3 15 und 17 vom Dezember 2024 bzw. vom Mai 2025 widmeten sich der sogenannten russischen Schattenflotte. Diese geschätzten 800 Tanker, die unter verschiedensten Flaggen die Weltmeere durchpflügen, transportieren russisches Erdöl. Weil Brüssel sich anmaßt, den Energie-Weltmarkt kontrollieren und seine Sanktionspolitik allen Erdölhändlern und Importeuren auf der Welt aufzwingen zu wollen, nahm sie die Tanker ins Visier. Bislang landeten ca. 350 von ihnen auf der Sanktionsliste, was immer wieder dazu führt, dass sich baltische Staaten oder auch Frankreich dazu ermutigt fühlen, die Öl-Kolosse auf offener See aufzubringen und in ihre Häfen zu verschleppen. So war beispielsweise Anfang Oktober 2025 der Tanker „Boracay“ vor einer bretonischen Insel von der französischen Marine gestoppt worden. Er stand auf der EU-Sanktionsliste und war gerade dabei, russisches Erdöl nach Indien zu transportieren. Der Verdacht, die Mannschaft würde Drohnen-Attacken gegen Frankreich und Dänemark durchführen, konnte nicht erhärtet werden. Der Kapitän wurde festgenommen. Erst nach Wochen konnte die „Boracay“ ihre Fahrt fortsetzen. | |||
Mitte Mai 2025 kam es aus ähnlichem Grund vor der Küste Estlands zu einem Zwischenfall, bei dem auch russische Kampfjets beteiligt waren. Sie begleiteten den Tanker „Jaguar“ auf seinem Weg in den russischen Ostseehafen Ust-Luga. Als die estnische Marine den Tanker zwecks Inspektion kapern wollte, griff die russische Luftwaffe – ohne zu schießen – ein und verhinderte dies. Gerade in der Ostsee, wo der Streit um Seemeilengrenzen von Hoheitsgewässern zwischen Estland und Russland tobt, könnte der Wirtschaftskrieg leicht zu einem Schießkrieg zwischen NATO und Russland eskalieren. | |||
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Aktuelle Version vom 23. Dezember 2025, 19:49 Uhr

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Hannes Hofbauer: |
Dass es von Anfang an auf dem Kiewer Majdan nicht um Demokratie, sondern gegen Russland ging, darauf machte der alte US-Haudegen, Vietnamkriegsveteran und republikanischer US-Senator John McCain aufmerksam. Anlässlich eines Besuchs in Kiew während der Majdan-Proteste im Dezember 2013 meinte er: „Es gibt keinen Zweifel, dass die Ukraine von vitalem Interesse für Putin ist. Ich denke, es war Kissinger – bin aber nicht sicher –, der sagte, Russland ohne Ukraine ist eine östliche Macht, mit der Ukraine eine westliche Macht. Hier beginnt Russland, genau hier in Kiew.“ McCain hätte auch den langjährigen Präsidentenberater Zbigniew Brzeziński zitieren können, der schon im Jahr 1994 meinte: „Ohne die Ukraine wird Russland nie wieder eine Weltmacht werden.“ Um die Zurückdrängung Russlands ging es. Deshalb standen in der Protestbewegung Rechtsliberale und Faschisten aus der Ukraine Seite an Seite mit den höchsten Diplomaten aus Deutschland, Polen, Schweden und den USA im Kiewer Kampfgeschehen. McCain war nicht der einzige, der wusste, was er tat, als er den Kämpfern vom Majdan Mut zusprach.
Mit dem 6. März 2014 begann, transatlantisch abgesprochen, das Sanktionsregime gegen russische Personen und – kurz darauf – gegen russische Unternehmen und ganze Branchen. Anfangs landeten Menschen, denen Washington und Brüssel vorwarfen, gegen Majdan-ukrainische Interessen zu handeln oder für die Abspaltung der Krim verantwortlich zu sein, auf schwarzen Listen. Sergej Glasjew war einer der ersten, die der Bannstrahl traf. Ihn hatte der Kreml ausgesandt, um ex-sowjetische Republiken bei der russischen Stange zu halten. Auch weniger politisch exponierte Figuren wie beispielsweise der bekannte russische Sänger Iossif Kobson wurden sanktioniert. Er hatte im Oktober 2014 in Donezk, seiner Heimat, ein Konzert gegeben. Brüssel setzte ihn deswegen auf die schwarze Liste. Sanktioniert zu sein, bedeutete Einreiseverbot und Vermögensentzug in der gesamten EU. Mittlerweile verloren Hunderte Oligarchen auf diese Weise den Zugriff auf ihre Unternehmen, Immobilien, Jachten und einer sogar seinen britischen Fußballklub „Chelsea“. EU-Konzerne profitierten davon, konnten sie sich doch mithilfe der Sanktionen lästige Konkurrenz vom Hals schaffen.
Die ersten russischen Unternehmen, denen Brüssel und Washington die Märkte sperrten, waren Dual-Use-Güter-Produzenten und einzelne Banken, denen eine Nähe zum Kreml vorgeworfen wurde. Bald darauf waren es ganze Branchen, die mit Sanktionen belegt wurden. Dass sich diese Politik nicht nur auf Russland, sondern auch auf die Volkswirtschaften sanktionierender Länder auswirkte, zeigt ein Blick in die Außenhandelsstatistik des Jahres 2013, dem letzten Jahr, bevor die Sanktionsmaschine angeworfen wurde. Damals nahmen die EU-Staaten 51% der russischen Exporte ab und waren für 36% der russischen Importe zuständig. Die Vergleichszahlen für die USA lauteten: 2,5% bzw. 4,8%. In anderen Worten: die mit der Sanktionspolitik angestrebte Schädigung Russlands hatte dies- und jenseits des Atlantiks total unterschiedliche Auswirkungen. Während die US-Wirtschaft davon fast unberührt blieb, schnitt sich die Europäische Union damit tief ins eigene Fleisch. Man könnte sich auch mit der Interpretation anfreunden, dass die von den USA betriebenen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen gegen Russland willentlich europäischen Volkswirtschaften Schaden zufügen sollten. Augenfällig ist dies spätestens am 26. September 2022 geworden, als die energetische Nabelschnur zwischen Russland und Deutschland, die Nord Stream Pipeline, gesprengt wurde.
Während anfangs vor allem Russland und eine Reihe von Staaten der EU unter den Sanktionen litten, profitieren die USA … und China. Dies verschärfte sich noch durch russische Gegensanktionen, die Moskau ab August 2014 gegen „unfreundliche Staaten“ und deren Unternehmen in Gang setzte. Begonnen haben diese mit Importverboten von Agrargütern, womit polnische Äpfel, französischer Käse, holländische Milch und italienische Orangen vom russischen Markt ferngehalten wurden. Statt ihrer profitierten russische und türkische Bauern, Schweizer und belarussische Molkereien sowie marokkanische Exporteure.
Der große Paukenschlag kam am 26. Februar 2022, zwei Tage nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine. Mit dem Einfrieren von 300 Mrd. russischer Zentralbankgelder im gesamten Dollar- und Euro-Raum war eine neue Qualität im Sanktionsreigen geschaffen. Der Ausbruch des bislang in der Weltgeschichte heftigsten Wirtschaftskrieges kann mit diesem Tag datiert werden. Zeitgleich wurden russische Banken vom SWIFT-System und damit vom Dollar-kontrollierten internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Auch bei den Zahlungsmitteln ist, wie im Außenhandel, die unterschiedliche Betroffenheit von USA und EU durch die Sanktionspolitik beachtenswert. Während die Europäische Union 191 Mrd. US-Dollar an russischen Werten sperrte, sind es in den USA vergleichsweise läppische 6 Mrd. US-Dollar. Washington tut sich also um ein Vielfaches leichter bei der Debatte, wie weiter mit den eingefrorenen Geldern verfahren werden soll.
In EU-Europa wurde bereits damit begonnen, sich das Vermögen der russischen Zentralbank – mithin russisches Volksvermögen – anzueignen. Im Mai 2024 gab die EU-Kommission grünes Licht, die Zinsen der russischen Einlagen – 30 Mrd. US-Dollar – zu kassieren und die ersten Tranchen davon an die Ukraine, genauer: über den Umweg Kiews an Rheinmetall zu überweisen. Im Rechtsstaat würde man diesen Vorgang, sich Zinsen der Geldeinlagen des jeweiligen Besitzers anzueignen, Diebstahl nennen. Brüssel hat – ohne hörbaren Widerstand aus dem EU-Mitgliedsstaaten – genau dies getan.
Um das gesamte Kapital der in der EU festgesetzten russischen Zentralbankgelder zu beschlagnahmen, wird seit mehr als einem Jahr heftig gestritten. Der bislang letzte, abenteuerlich anmutende Vorschlag der EU-Kommission, den auch Deutschlands Kanzler unterstützt, will die 191 Mrd. US-Dollar als Sicherheit für einen Kredit vergeben, der auf dem Kapitalmarkt aufgenommen wird, um selbigen an Kiew weiterzuleiten. Dieser Trick hat etwas Infantiles an sich. Denn um in Zukunft nicht für den Ausfall des Kredites haftbar gemacht werden zu können, stellt sich Ursula von der Leyen vor, Russland nach der herbeigesehnten Niederlage zu zwingen, auf die 191 Mrd. Zentralbankgelder im Rahmen von Entschädigungszahlungen zu verzichten. Sollte Russland dem nicht zustimmen oder gar den Krieg gewinnen, dann wären die EU sowie ihre Mitgliedsstaaten – allen voran Belgien, weil dort die russischen Zentralbankgelder liegen – haftbar.
Ein stümperhafter Versuch von der Leyens, die Europäische Zentralbank in die Haftung miteinzubeziehen, scheiterte kläglich. Dort will sich niemand damit die Finger verbrennen, gestohlene Vermögenswerte zu besichern. Dies schon deshalb, weil eine Beschlagnahmung von Staatsvermögen durch fremde Gerichte verboten ist. Bereits im Mai 1972 regelte das „Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität“ den Schutz von Vermögen ausländischer Staaten. Es heißt dort unmissverständlich: „Die Staatenimmunität entzieht den Staat der Strafverfolgung durch die Gerichte anderer Saaten und schützt ihn vor der Zwangsvollstreckung seiner Guthaben und Vermögenswerte.“ Im Ausland befindliches Staatseigentum ist also vor dem Zugriff von Gerichten geschützt. Dazu kommt noch der immense internationale Vertrauensverlust in die Euro-Zone, der durch den Diebstahl russischen Vermögens per politischem EU-Beschluss stattfinden würde.
Im Dezember 2025 hält die Europäische Union beim 19. Sanktionspaket gegen Russland und russische Unternehmen. Tatsächlich ist der wirtschaftliche – sowie der politische, sportliche, mediale, gesellschaftliche und kulturelle – Austausch mit dem großen Nachbarn im Osten auf nahezu Null gesunken. Mit Stichtag 15. Dezember 2025 stehen über 2700 Personen und Organisationen auf den schwarzen Listen Brüssels.
Eine von unabhängiger Stelle veröffentlichte Quantifizierung der wirtschaftlichen Verluste Europas durch die EU-Sanktionen existiert nicht. Brüssel und Berlin halten sich diesbezüglich bedeckt. Das ist weiter nicht verwunderlich, würden doch die blanken Zahlen für jeden und jede ersichtlich machen, was er oder sie Woche für Woche an den steigenden Energiekosten und der Inflation zu spüren bekommt. Das russische Außenministerium veröffentlichte Anfang Dezember 2025 anlässlich einer UN-Sitzung die Zahl von 1,6 Billionen Euro – in Ziffern: 1.600.000.000.000 –, die den europäischen Unternehmen und Haushalten zwischen 2022 und 2025 durch die eigene Sanktionspolitik entzogen wurden. Die Zahl ist mit Vorsicht zu genießen. Angesichts der Tatsache, dass – laut Berechnungen von „Eurostat“ – allein die Erhöhung der Gaspreise seit 2022 mit 200 Mrd. Euro zu Buch schlagen, scheint die Berechnung des russischen Außenministeriums nicht ganz unrealistisch zu sein.
Jedes der mittlerweile 19 Pakete beinhaltet neuen Sprengstoff im Kampf gegen Moskau. So erließ Brüssel im 9. Paket vom Dezember 2022 ein allgemeines Verbreitungsverbot für russisch finanzierte Medien, mithin eine EU-weite Zensurmaßnahme gegen russische Narrative die Weltlage betreffend. Nur drei Staaten in Europa beteiligen sich nicht daran: Serbien, die Schweiz und Belarus. Das 11. Sanktionspaket vom Juni 2023 barg eine neue Eskalationsstufe. Was bis dahin von EU-europäischen und deutschen Politikern heftig an US-Sanktionen kritisiert worden war, nämlich die sogenannte extraterritoriale Sanktion, wird seither auch von Brüssel betrieben. Damit landen chinesische, türkische oder kasachische Unternehmen auf schwarzen Listen, wenn sie im Verdacht stehen, EU-Sanktionen gegen Russland zu umgehen. Extraterritoriale Sanktionen stehen nicht zu Unrecht im Geruch, mit kolonialer Attitüde eigene Gesetze auf Drittstaaten und dortige Unternehmen überzustülpen. Der chinesische Geschäftsmann Lin Zhongheng mit seiner Shenzhen Biguang Trading Co. Ltd. ist nur einer von vielen nicht-russischen Opfern EU-europäischer wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen.
Die Sanktionspaket3 15 und 17 vom Dezember 2024 bzw. vom Mai 2025 widmeten sich der sogenannten russischen Schattenflotte. Diese geschätzten 800 Tanker, die unter verschiedensten Flaggen die Weltmeere durchpflügen, transportieren russisches Erdöl. Weil Brüssel sich anmaßt, den Energie-Weltmarkt kontrollieren und seine Sanktionspolitik allen Erdölhändlern und Importeuren auf der Welt aufzwingen zu wollen, nahm sie die Tanker ins Visier. Bislang landeten ca. 350 von ihnen auf der Sanktionsliste, was immer wieder dazu führt, dass sich baltische Staaten oder auch Frankreich dazu ermutigt fühlen, die Öl-Kolosse auf offener See aufzubringen und in ihre Häfen zu verschleppen. So war beispielsweise Anfang Oktober 2025 der Tanker „Boracay“ vor einer bretonischen Insel von der französischen Marine gestoppt worden. Er stand auf der EU-Sanktionsliste und war gerade dabei, russisches Erdöl nach Indien zu transportieren. Der Verdacht, die Mannschaft würde Drohnen-Attacken gegen Frankreich und Dänemark durchführen, konnte nicht erhärtet werden. Der Kapitän wurde festgenommen. Erst nach Wochen konnte die „Boracay“ ihre Fahrt fortsetzen.
Mitte Mai 2025 kam es aus ähnlichem Grund vor der Küste Estlands zu einem Zwischenfall, bei dem auch russische Kampfjets beteiligt waren. Sie begleiteten den Tanker „Jaguar“ auf seinem Weg in den russischen Ostseehafen Ust-Luga. Als die estnische Marine den Tanker zwecks Inspektion kapern wollte, griff die russische Luftwaffe – ohne zu schießen – ein und verhinderte dies. Gerade in der Ostsee, wo der Streit um Seemeilengrenzen von Hoheitsgewässern zwischen Estland und Russland tobt, könnte der Wirtschaftskrieg leicht zu einem Schießkrieg zwischen NATO und Russland eskalieren.
Anmerkungen
Der vorliegende Text erschien am 12.12.2025 auf den Nachdenkseiten[1]. Die Phenixxenia-Version erscheint mit freundlicher Unterstützung des Autors auf Contemporary Warcraft.
Von Hannes Hofbauer ist zum Thema erschienen: „Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland.“ (Promedia Verlag, Wien)