Erzählende Gebilde
Der Begriff ist eine freie Übersetzung von narrative Structures, einem Begriff, den der New Yorker Künstler Mark Lombardi als Beschreibung der von ihm gepflegten Kunstform geprägt hat. Mit Kurvenlinealen und Bleistift schuf er gigantische Werke im Meter-Massstab. Vor allem gegen Ende seines Lebens gelangen ihm ästhetisch überaus ansprechende Umsetzungen des weltumspannenden Nepotismus. Die Grundlage seiner Werke war indessen keine Spekulation, sondern eine akribisch gepflegte Sammlung abertausender Karteikarten mit Detailinformationen über die dargestellten Beziehungen. Dabei stützte sich Mark Lombardi stets auf für jedermann öffentlich zugängliche Quellen; er nutzte also kein Geheim-Wissen sondern Gemein-Wissen.
Ganz wie eine digitalisierte Photographie aus bunten Punkten, den Pixeln, besteht, von denen jeder einzelne keinerlei Bedeutung hat, im Einzelfall sogar verzichtbar ist, gleichen Mark Lombardis Werke einem antiken Mosaik oder einem Werk der impressionistischen Malerei, des Pointilismus. Hier wie dort gewinnt das Bild mit Anzahl und Güte der Enzelpunkte an Schärfe bis es dem Betrachter vollkommen plastisch, also greifbar erscheint wie eine moderne Filmsequenz in High Definition Video. Mark Lombardis virtuoser Umgang mit Komplexität und Detailtiefe macht die Mechanik hinter den mitunter rätselhaften Vorgängen der modernen Welt also be-greifbar. Der heutige Mainstream-Journalismus erscheint im Vergleich hierzu bestenfalls wie ein Farbfernseher aus der Anfangszeit in Röhrentechnik.
Weil es sich also bei Mark Lombardis Narrative Structures nicht alleine um Kunst, sondern auch um Projektionen der realen Welt mit Mitteln von Graphentheorie oder schlicht Mind Maps handelt, stiessen seine Werke auch ausserhalb der Kunstszene auf Interesse. Mark Lombardi war sich dessen bewusst und zierte seine Visitenkarte mit dem Slogan "Todesverachtende Akte der Kunst und der Verschwörung". Kein Wunder also, dass auch Vertreter des FBI zu den Anhängern seiner Kunst zählten, insbesondere dann wenn sie sich Hilfe bei der Aufklärung komplexer Fälle erhofften indem sie sich in Mark Lombardis, nicht nur ästhetisch ansprechende, Beziehungsmuster vertieften.
Posthum, nach seinem überraschenden Tod im März 2000, der von offiziellen Stellen als Suizid eingestuft wird, erfuhr der Nachlass Mark Lombardis gesteigertes Interesse, gleichermassen aus kunstsinnigen wie aus politisch interessierten Kreisen. Die Karteikarten allerdings, der Fundus an Detailwissen auf den die Werke sich inhaltlich gründeten, erregten überproportional starkes Interesse seitens der ermittelnden Behörden und verwandter Dienste. In einem 2011 vorgestellten Film lässt die deutsche Regisseurin Mareike Wegener die letzte Schaffensphase Mark Lombardis in Interviews mit Zeitgenossen, Freunden und Verwandten noch einmal lebendig werden. Angesichts der brisanten Inhalte seiner Werke stellt der Film schliesslich die amtliche Todesursache in Frage. Die Antwort zu finden, bleibt dem Zuschauer überlassen.