General a.D. Harald Kujat 30.10.2024:Verhandlungen
General a.D. Harald Kujat: „Selenskyjs Drohung hätte eine harte Reaktion des Westens erfordert“ |
Welche Aussichten für ein Kriegsende durch Verhandlungen sehen Sie angesichts der von Selenskyj geforderten weiteren Eskalation? Gibt es derzeit noch welche?
Der Bundeskanzler hat am 8. September in einem Interview erklärt: „Ich glaube, das ist jetzt der Moment, in dem man auch darüber diskutieren muss, wie wir aus dieser Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommen, als das gegenwärtig den Eindruck macht.“ Damit lässt er erkennen, dass Selenskyj ihn in einem zuvor geführten Vier-Augen-Gespräch über den Ernst der Lage informiert hat und dieser nach einem Ausweg aus der kritischen militärischen Lage sucht. „Jetzt“ bedeutet, dass es gilt, keine Zeit zu verlieren.
Seit Beginn des Krieges hat der „kollektive Westen“ die ukrainischen Streitkräfte mit immer leistungsfähigeren Waffen beliefert, sie systematisch ausgebildet und im weitesten Sinne unterstützt. Trotzdem ist die Lage kontinuierlich schlechter geworden, und die Fortsetzung dieses Weges könnte für die Ukraine in einer militärischen Niederlage enden.
Allerdings setzt der Bundeskanzler darauf, der sogenannte Selenskyj-Friedensplan könnte Erfolg haben, wenn Russland zu der nächsten Gipfelkonferenz eingeladen wird. Wer sich näher mit diesem Plan beschäftigt, wird jedoch feststellen, dass er eine Sackgasse ist, was bereits die letzte Konferenz in der Schweiz für jedermann erkennbar gezeigt hat. Und zu ernsthaften bilateralen Verhandlungen ist Selenskyj offenbar nicht bereit. Zumindest ist das Dekret des ukrainischen Präsidenten vom 4. Oktober 2022, das Verhandlungen mit Russland, zumindest mit Putin, untersagt, bisher nicht aufgehoben worden.
Dem Bundeskanzler ist allerdings zuzustimmen, dass die Zeit drängt. Die Annahme, die ukrainischen Streitkräfte könnten die Oberhand gewinnen und damit die ukrainische Ausgangslage für Verhandlungen mit Russland verbessern, wenn der Krieg wie bisher mit oder ohne US-amerikanische Unterstützung fortgesetzt wird, ist unseriös. Nur ein baldiger Waffenstillstand und Friedensverhandlungen könnten eine militärische Niederlage verhindern.
Ich bin der festen Überzeugung, dass der chinesische Vorschlag, der den Vorteil hat, dass beide Seiten ihre Vorbedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen zurückstellen und Verhandlungen wieder aufnehmen, wo sie im April 2022 abgebrochen wurden, der gegenwärtig einzige realistische Ansatz ist. Putin hat den chinesischen Vorschlag mehrfach akzeptiert und die Wiederaufnahme der Istanbuler Verhandlungen angeboten.
Das Interview führte Éva Péli.
Dieses Interview erscheint mit Genehmigung der Nachdenkseiten wo es am 30. Oktober 2024 erstmals publiziert wurde.