Volllaststunden (aus ISBN 978-3451309267)

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Beim Verfassen dieses Buches hat man mich immer wieder gewarnt, nicht zu „kompliziert“ und „wissenschaftlich“ zu erzählen und zu argumentieren. Ich gebe mein Bestes. Sicher fallt es mir als Physiker leichter als anderen, bestimmte technische Dinge zu verstehen. Dafür bin ich in Fremdsprachen oder Musik wenig talentiert. Wenn ich sage, dass ich Physiker bin, ist interessanterweise die häufigste Reaktion: „Oh, das hab ich nach der 10. Klasse abgewählt!“

Den Begriff „Volllaststunde“ mochte ich trotzdem in einer gewissen Ausführlichkeit erklären. Denn mit diesem Begriff kann man – wenn man seine Bedeutung einmal verstanden hat – vieles nachvollziehen. Ausserdem ist mir aufgefallen: Er wird von vielen und reichlich verwendet. Aber nicht selten habe ich dabei das Gefühl: Manch einer weiss gar nicht, wovon er spricht. Meine Erklärung ist also mit der Hoffnung verbunden, dass viele, die bereits darüber reden, es danach auch wirklich verstehen – insbesondere die Entscheider über unsere zukünftige Energieversorgung.

Was also sind diese ominösen Volllaststunden?

Ich versuche es mit einer hoffentlich allgemeinverständlichen Analogie aus der Landwirtschaft – auch, um den Unterschied zwischen Energie und Leistung zu erklären. Nehmen wir an, der Landwirt hat ein Pferd, einen Pflug und einen grossen Acker. Wenn das Pferd seine volle Leistung abruft, entspricht dies einer Pferdestarke (1 PS ≈ 0,74 Kilowatt). Um den grossen Acker zu pflügen, braucht der Landwirt mit einem Pferd bei voller Leistung rund zehn Stunden. Die Leistung (des Pferdes) betragt also 1 PS (0,74 kW), die verrichtete Arbeit (= Energie) betragt 10 PSh (10 Stunden x 1 PS). Die Volllaststundenzahl (des Kraftwerks „Pferd“) berechnet sich dann aus der Energiemenge geteilt durch die Leistung des Pferdes – hier also 10 PSh geteilt durch 1 PS. In diesem Fall liegt sie also bei zehn Stunden.

Nehmen wir nun an, der Landwirt konnte das Pferd nur mit halber Kraft laufenlassen, weil es beispielsweise eine Zusatzlast tragen musste. Die für das Pflügen des Ackers abgerufene Leistung wäre dann nur ein halbes PS. Innerhalb von zehn Stunden wurde das Pferd dann eine Arbeit (= Energie) von 5 PSh verrichten; das heisst, es wurde den halben Acker pflügen. Und die Volllaststundenzahl? Sie betrüge nun 5 PSh (Energiemenge) geteilt durch 1 PS (maximale Leistung) – das waren dann nur noch fünf Volllaststunden. Auch wenn die Arbeitszeit des Pferdes zehn Stunden betrüge.

Ich hoffe, der Begriff „Volllaststunde“ hat nun etwas an Klarheit gewonnen. In der Kraftwerks- und Energietechnik hat sich die Volllaststundenzahl als Kenngrösse für den Vergleich von Technologien und Standorten etabliert. Seit vielen Jahren höre ich dabei das Argument, dass die Effizienz von Windkraft zu gering sei, weil die Volllaststunden deutlich geringer seien als bei konventionellen Kraftwerken.

Doch der Vergleich ist nicht zulässig: Die Volllaststunde ist kein Mas, um den Ertrag von Windanlagen mit konventionellen Kraftwerken zu vergleichen. Bei Kohlekraftwerken ist die Volllaststundenzahl in der Regel recht hoch und entspricht beinahe der Nutzungszeit, weil man immer den Brennstoff Kohle zufuhren kann. Das ist bei Windenergie- und Solarstrom-Anlagen anders, da der „Brennstoff“ Wind bzw. Sonne schwankend ist, aber eben kostenlos. Es kommt also darauf an, wie wirtschaftlich man die Umwandlung gestalten kann und nicht darauf, wie „gut“ der Generator ausgenutzt wird. Konkret: Es geht darum, eine Volllaststundenzahl zu finden, die ideal für unser zukünftiges System ist.


Aber ist es denn überhaupt möglich, den Generator immer oder fast immer voll auszulasten?

JA, es ist möglich – sogar technisch sehr einfach und das auch an durchschnittlichen Windstandorten im Binnenland:

Bei der Windenergie können wir das erreichen, wenn wir einen sehr kleinen Generator (mit beispielsweise 100 PS = 74 kW, was ungefähr der Leistung eines Automotors entspricht) mit einem sehr grossen Rotor von beispielsweise 120 Metern Durchmesser kombinieren. Schon ein laues Lüftchen hat dann die Kraft, um den Generator mit maximaler Leistung anzutreiben. Und das wäre der Fall bei etwa 7.500 bis 8.000 Stunden – von 8.760 Stunden, die das Jahr hat.

Aus Sicht eines Technikers wäre es ideal, wenn das Windrad nahezu jeden Tag zuverlässig die gleiche Leistung erzeugte – eben wie ein konventionelles Kraftwerk.

Warum macht man das nicht?

Die Strommenge, die ein Windrad in einem Jahr produziert, hangt zuvorderst von der Windgeschwindigkeit und dann von der Flache ab, die den Wind einfangt, also vom Rotordurchmesser. Sie hängt deutlich weniger von der Generatorleistung ab. Wenn der Generator ständig mit maximaler Leistung laufen wurde, konnten wir schon bei etwas höheren Windgeschwindigkeiten die im Wind enthaltene Energie nicht mehr nutzen, weil wir alles oberhalb der Generatorleistung abkappen wurden. Die verschenkte Energie wäre zu gross und der Preis für eine Kilowattstunde Windstrom zu teuer, weil der nutzbare Energieertrag in keinem sinnvollen Verhältnis zu den Baukosten der Windenergie-Anlage stehen wurde.

Man kann also sehr viel mehr Strom produzieren, wenn man – bei gleichem Rotordurchmesser – mit einem möglichst grossen Generator arbeitet und so auch bei höheren Windgeschwindigkeiten deutlich mehr Energie ernten kann. Doch damit reduziert man die Volllaststundenzahl. In der Vergangenheit war das Standard, weshalb wir heute an vielen Standorten durchschnittliche Volllaststundenzahlen zwischen 2.000 und 2.500 haben.


Bei sehr hohen Windgeschwindigkeiten hat man dadurch so viel Leistung, dass diese nicht mehr abtransportiert werden kann. Also müsste man das Stromnetz massiv ausbauen oder für die produzierten Strommengen riesige Speichermöglichkeiten schaffen. Was für die Einzelanlage eventuell als optimale wirtschaftliche Losung erscheinen mag, ist im Gesamtsystem unter volkswirtschaftlichen Aspekten – das heisst unter Einbezug aller Kosten – nicht die beste Lösung.


Das Ziel: Ermittlung des richtigen Verhältnisses zwischen maximalem Ertrag und maximaler Auslastung.

Es geht also darum, das richtige Verhältnis zu finden zwischen dem technischen Ziel der gleichmässigen Stromproduktion und dem wirtschaftlichen Ziel einer möglichst grossen Stromproduktion unter Berücksichtigung der Anschaffungskosten. Der optimale Wert für die zukünftige Versorgung ist ein Kompromiss zwischen individueller Wirtschaftlichkeit der Einzelanlage und der Technik. Der Kompromiss liegt bei etwa 4.000 bis 5.000 Volllaststunden – 4.000 an durchschnittlichen Landstandorten und 5000 an sehr windstarken Landstandorten.

Warum ist das ideal? Bei 7.000 bis 8.000 Volllaststunden hatte man eine Vervielfachung der Kosten des Windstroms. Im Bereich 4.000 bis 5.000 erhöhen sich die Kosten für den Windstrom dagegen nur um wenige Prozent, da man auf der einen Seite Geld für den grösseren Generator und die stärkere Auslegung der Anlage und den Netzanschluss sparen kann und auf der anderen Seite nur wenige hundert Stunden im Jahr eine höhere Stromproduktion abkappt.


Bisher hat man die Windkraftanlage jedoch nur isoliert betrachtet und die Gesamtzusammenhange dabei ausgeblendet, da sie in der ersten Phase der Energiewende auch keine Rolle gespielt haben. Nun geht es allerdings um die Komplettversorgung durch Wind und Sonne – nun muss man die Summe aller Windenergie-Anlagen betrachten und nicht mehr nur das einzelne Windrad.

Der Wechsel im System wird dazu fuhren, dass wir ohne eine nennenswerte Erhöhung der Anlagenzahl in der Lage sind, rund 60 Prozent des deutschen Strombedarfs durch Windenergie zu decken. Und das ohne gleichzeitig bei starken Windgeschwindigkeiten die Gesamtleistung über den Bedarf hinaus deutlich zu erhöhen. Wir erhalten so etwa sechsmal so viel Strom bei nahezu gleicher Anlagenzahl.

Auch im Hinblick auf das Landschaftsbild und den Naturschutz ist das eine wichtige Nachricht.

Es ist genügend Potenzial und Platz da, um den entscheidenden Beitrag zur Energiewende zu leisten.


Entwicklung der Windkraftanlagen: heute vs. Zukunft vs. intelligente Zukunft


Auch die Volllaststundenzahl der Solarmodule lässt sich erhöhen – von 1.000 auf 1.500 bis 2.000. Hierfür muss man das Verhältnis zwischen Modulgrösse und Wechselrichtergrösse verändern.

Solarmodule produzieren Gleichstrom. Daher braucht es einen Wechselrichter, der den Gleichstrom in Wechselstrom umwandelt. Das entscheidende Mas ist der Wechselstrom. Heute haben Module und Wechselrichter einer Solaranlage in der Regel die gleiche Leistung. Wie bei der heutigen Windanlage erreicht man dadurch die maximale Leistung nur bei idealen Bedingungen, also nur zu gewissen Stunden im Jahr.

Aus diesem Grund kann der Wechselrichter künftig deutlich kleiner ausgelegt werden. Gleichzeitig wird die Modulleistung erhöht. Durch die Vergrösserung der Sonneneinfangflache wird die Ausnutzung des Wechselrichters vergrössert. Dadurch wird der Ertrag an bewölkten Tagen und somit auch im Winter deutlich steigen.

Und wenn mehr Sonne eingefangen wird, als der Wechselrichter verarbeiten kann, werden die Überschüsse gespeichert. Das geschieht vor allem in Batterien. Wenn diese voll sind, wird die Energie mit Pufferspeichern in Wärme (vor allem in Warmes Wasser) umgewandelt.

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